Geschlechtsneutral zu formulieren, ist im Deutschen nicht einfach. Sobald wir versuchen, über Menschen zu sprechen, schleichen sich geschlechtsspezifische Pronomen ein, und bei Verwandtschaftsbezeichnungen wie "Schwester" oder "Vater" ist das Geschlecht ohnehin immer mit dabei. Dabei kann es in vielen Fällen im Alltag durchaus sein, dass ich das Geschlecht einer Person nicht kenne oder nicht festlegen möchte: Bin ich neu in einer Stadt und frage nach Empfehlungen für zahnmedizinische Behandlungen, ist das Geschlecht der behandelnden Person zunächst einmal unwichtig. Sobald ich aber nach einem Zahnarzt frage, lege ich das Geschlecht schon ein Stück weit fest. Es ist von der sprachlichen Flexibilität meines Gegenübers anhängig, ob ich auch Zahnärztinnen empfohlen bekomme.
Wie aber spreche ich über eine Person, ohne ihr ein Geschlecht anzukategorisieren? Häufig wird mit Partizipialformen wie Studierende oder Lehrende gearbeitet, und in vielen Fällen klappt das auch. Auch sogenannte Fluchtwörter wie Lehrkraft oder Vorsitz finden häufig Anwendung. Allerdings funktioniert das im ersten Fall im Singular schon weniger gut – geht es um den oder die Studierende? –, und Fluchtformen können nicht zu allen Wörtern gebildet werden.
Gegenwärtig sind zudem einige Formen in Verwendung, die mit Sonderzeichen operieren. In der Debatte stehen dabei der Genderstern sowie mittlerweile vor allem der Doppelpunkt, also Formen wie Leser*innen und Leser:innen.
Ein weiterer Vorschlag für geschlechtsneutrales Formulieren – und damit eine Möglichkeit, allen Geschlechtern gerecht zu werden – ist das Entgendern nach Hermes Phettberg. Der österreichische Künstler und Schriftsteller nutzte diese Form erstmals 1992 in seiner Kolumne "Phettbergs Predigtdienst" in der Wiener Wochenzeitung "Falter". Auch sie funktioniert ohne Sonderzeichen und baut auf dem bestehenden Sprachsystem auf: Für alle Personenbezeichnungen wird der neutrale Artikel "das" verwendet, an den Wortstamm wird im Singular -y und im Plural -ys angehängt. Das bedeutet, aus Leser*innen werden Lesys. Das gilt für alle Personenbezeichnungen, die mit der Endung -er*in gebildet werden, und auch für alle anderen Personenbezeichnungen. Aus dem*der Lehrer*in wird das Lehry, aus Wirt*innen werden Wirtys und so weiter. Das Pronomensystem folgt dabei der bestehenden grammatischen Form des Neutrums, zum Beispiel: "Das Wirty hat seinen Lippenstift vergessen".
Dass die Form des Possessivpronomens der maskulinen Form ähnelt, mag auf den ersten Blick befremdlich wirken, ist aber analog zu Sätzen wie "Das Mädchen hat seinen Hamster gefüttert" oder "Das It-Girl hat gestern mit seiner Freundin die Quiz-Sendung gewonnen". Die deutsche Grammatik lässt in solchen Fällen erst seit Kurzem die Verwendung von femininen Possessivpronomina "ihren" beziehungsweise "ihrer" zu.
Das Entgendern nach Phettberg ermöglicht es vor allem, über Personen zu sprechen, deren Geschlecht unbekannt ist. Es eignet sich auch für alle Pluralformen, wenn mehrere Geschlechter angesprochen werden sollen – sowohl in der direkten Anrede ("Liebe Kollegys", "liebe Mitarbeitys"), als auch, wenn ich über mehrere Personen spreche ("Meine Kommilitonys haben …"). Es erlaubt mir also, über einzelne und mehrere Personen zu sprechen, ohne ihnen automatisch ein Geschlecht zuzuweisen.
Als Phettberg diese Form erstmals nutzte und gegen Ende seiner Kolumne von "Lesys" schrieb, verband er dies mit einer Fußnote, in der er die Redaktion bat, diese Form, die nicht von ihm selbst sei, wenigstens einmal stehen zu lassen. Sie solle helfen, "das sprachliche Problem der Ausgrenzung der weiblichen Form [zu] überwinden".
Die Anleitung zum Entgendern nach Phettberg fußt auf einer linguistischen Korpusanalyse von Phettbergs Kolumnen. Insofern handelt es sich um eine Form mit Tradition und einem Referenzkorpus, das es erlaubt, nachzuschlagen. Dass gerade literarische Texte neue Ansätze für die Versprachlichung von Geschlecht bieten, ist dabei für mich als Literaturdidaktiker nicht weiter überraschend, führte doch schon die Schriftstellerin Verena Stefan 1975 in ihrem Roman "Häutungen" auch die Form "frau" als Gegenstück zum Indefinitpronomen "man" ein.
Die Anwendung von Formen zur Versprachlichung von Geschlecht hängt immer von Kontext und Intention ab: Mit welcher Person kommuniziere ich aus welchem Grund in welcher Situation? So wird es Gelegenheiten geben, wo das stärker markierte Kritiker*innen besser passt als das etwas flüssiger zu sprechende Kritikys. Denn vor allem im mündlichen Gebrauch ist die Praktikabilität vieler anderer Formen nicht immer gegeben, aber das muss gar nicht unbedingt negativ sein. Gerade wenn ich die Sichtbarkeit mehrerer Geschlechter priorisieren möchte, sind andere Formen wahrscheinlich wirkungsvoller. Um aber einfach über Personen sprechen zu können, ohne ihnen ein Geschlecht gleich mitzuzuschreiben, bietet es sich an, das so ähnlich wie Hermes Phettberg zu tun.
Auch wenn es immer wieder als radikal bezeichnet wird: Das Entgendern nach Phettberg ist einfach verwendbar und dennoch auffällig und insofern eine Kompromissform. Dass diese Form dabei Einigen zu wenig weit geht und Anderen zu weit, ist vielleicht ein Zeichen dafür, dass ein großes Missverständnis zuletzt ausgeräumt werden muss: Die eine Form, die alles löst, gibt es nicht. Für manche Sprechys und Schreibys mag es in bestimmten Situationen genau die richtige Form sein, andere bevorzugen eine andere.